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20:09, 25.12.2024

 

„Zeitgänge: Spuren und Bewegung, der Stand der Dinge in jedem Augenblick. Das Blöken eines Schafs, Backsteine in der Sonne und Knochen im Kies, Wollnashornknochen, alt wie die Braunkohle, die Knochen der Bauern, Pferde und Soldaten. Insektenlarven in der Fahrzeugspur vom Vorjahr, die Gänge der Mäuse im Schnee, im gilben Gras Ende März. Das Gras selbst, das auf Gras wächst, seit es Gras gibt. Zigarettenkippen und Kronkorken vor dem Bahnhof Güstrow, eben noch da vor dem lange/unlängst/gerade geschlossenen Speicher „Aug. Meyer, Kohle, Holz und Eisen“. Die Schrift ist schwarz auf weißem Grund, verblichen, ausgedünnt, die fehlenden Partikel vagabundieren im Umland: „Wie weit hinkte ich denn hinterher? Zeit, in die Gänge zu kommen.“ (Ken Bruen)


In den Schülern leben die Lehrer, die Maus in der Katze, der Sand im Fels. Jeder Mensch ist ein Zeitgang, zwangsläufig und bewusst-unbewusst mit der Zeit, in der Zeit und gegen sie unterwegs. Väter und Söhne, Mütter und Töchter, irgendwo im Nichtmenschlichen nehmen die Ketten der Verwandtschaft ihren Anfang, irgendwann enden sie im Nichts, wie es sich gehört mit einem Röcheln. Identität, was man ICH nennt, ist steter Wandel, ein unfester Inhalt in dauernder Metamorphose, die Ich sagt, Ja und Nein oder auch gar nichts. ICH ist, was die Zeitläufe zu- und übriggelassen haben, geprägt von Erfahrungen, Wünschen und Angst, Wissen und Ideologien, Trieben, Ahnungen und Ideen… Was wären wir ohne Geheimnis. Verloren vermutlich.


Das Altern ist ein Zeitgang und das Miteinander in Partnerschaften, das Gegen- und Miteinander in Kollektiven. Straßen, je älter desto mehr, Kämpfe und Kunst sind Zeitgänge und Mecklenburg-Vorpommern ist einer, sichtbar in den kollektiv geprägten Strukturen, dem Abbild des Handelns in der Landschaft, dem fest gewordenen Niederschlag von Geschichte und Ökonomie, Geduld und Gewalt. In Stadt und Landschaft wie in den abstrakten Summen der Bilanzen und Vermögen stecken Arbeit, Elend, Knechtschaft, sehr konkret. Was denn sonst. Nicht zu vergessen die ewigen Kriege und die dauernden Privilegien, beharrlich mit allen Mitteln verteidigt. Nicht zu vergessen Güte und Utopien, die Liebe zwischen und zu, das beharrliche Angreifen der „unüberwindbaren, hirnbespritzten Mauer des Geldes“ (André Breton, 1930).


Kunst, sagt Paul Klee, gebe nicht das Sichtbare wieder, sondern mache sichtbar, die Zeitgänge treffen sich also: Nicht nur hier."


Gregor Kunz (Kurator)